Deutsch
Die Voraussetzungen dafür, die eigene Stimme im Kontext von Massenmedien zu artikulieren, haben sich radikal verändert. Einerseits bietet das Internet ein Organ zur Selbstdarstellung, wie im Fall von Wael Ghonim: Mit ihm fand die Anti-Mubarak-Bewegung nach einer Periode von führungslosem Protest endlich einen Helden. Der Marketingmitarbeiter bei Google half mittels Facebook bei der Organisation der Opposition und verschwand daraufhin für zwölf Tage in Polizeigewahrsam. Als er wieder auftauchte, bestritt er, heroisch gehandelt zu haben, und zollte stattdessen den jungen Aktivisten Anerkennung, die seit dem 25. Januar auf den Straßen die Stellung hielten.
Seine Rückkehr in die Öffentlichkeit – geprägt von einem emotionalen TV-Interview am 7. Februar – kurbelte die Bewegung genau in dem Moment wieder an, als sie an Kraft zu verlieren drohte. Hunderttausende Demonstranten kehrten an jenem Tag auf die Straßen von Kairo zurück.
Die Verbreitung von Informationen ist andererseits sehr gefährlich: Der Al-Jazeera-Kameramann Ali Hassan al-Jaber wurde am 12. März 2011 vermutlich in einem Hinterhalt bei Bengasi getötet. Das Auto, in dem er und seine Kollegen saßen, wurde nach der Berichterstattung über eine Demonstration verfolgt, was einen vorsätzlichen Angriff nahelegt. Gaddafi gab dem Sender, der für seine furchtlosen Berichte über die Aufstände in Nahost und Nordafrika bekannt ist, die Schuld am Blutvergießen in Libyen.
Al Jazeeras Generaldirektor Wadah Khanfar zollte dem Journalisten Anerkennung. »Wir machen dennoch entschieden weiter. Wir können unser Leben nur für ehrenwerte Ziele opfern. Es gibt kein ehrenwerteres Ziel als das Streben nach Wahrheit.« Seit Beginn der arabischen Revolutionen ist Al Jazeera von immer zentralerer Bedeutung. Kein anderer Sender liefert derart umfassend und fundiert Berichte aus Tunis, Kairo und Bengasi. Die Website aljazeera.net ist eine der 50 meistbesuchten Seiten weltweit.
Statement
Wegen der Furcht vor autoritären Vergeltungsmaßnahmen – Gefängnis, Folter, Exekution – weigerten sich die Menschen in Tripolis vor kurzem offen mit internationalen Reportern über ihre wahren Gefühle zu sprechen. Aber dies geschieht zu vielen Zeiten und an vielen Orten. In Angst um ihr Leben und ihre Gesundheit halten Menschen ihre Stimmen zurück. Sie zensieren sich selbst, warnen einander und sprechen nur im Flüsterton. Die Einschränkung der Stimme ist der höchste politische Kontrollmechanismus. Disziplin ist ein Spiel; es zeigt die illokutionäre Kraft gegenseitiger Selbstzensur.
Im Kontrast zu den militärischen Routinen strenger Disziplin und dem Einhalten eines musikalischen Taktes bieten die anarchischen »pop-up«-Performances von Escalier du Chant eine Gelegenheit, zwischenmenschliche Disziplin und politischen Einfluss von Musik zu zerlegen und zu korrumpieren und soziale Strukturen, die auf Herrschaft und Unterwerfung beruhen, zu verhöhnen. Ich habe den Einsatz von kurzen, sich wiederholenden Elementen gewählt, um ein vorbeigehendes Publikum mit formal dekonstruierten, aber leicht erfassbaren musikalischen Ideen zu beschäftigen.
English
The conditions for articulating one’s voice in the context of mass media have radically changed. On the one hand, the internet enables self-expression, as in the case of Wael Ghonim: in him, Egypt’s anti-Mubarak street movement finally found a hero after a period of leaderless protest. The Google marketing executive organised the opposition through Facebook, only to disappear into police custody for 12 days. Emerging again, he denied he had done anything heroic, instead paying tribute to the young activists who had been on the streets since 25 January.
But his return to the public eye — marked by an emotional TV interview on 7 February — re-energised the movement just as it seemed to be losing steam. Hundreds of thousands of protesters returned to the streets of Cairo the day after he spoke.
Procuring and broadcasting information and news can, on the other hand, prove extremely dangerous: Al Jazeera cameraman Ali Hassan al-Jaber was killed on March 12 2011 in what seemed to be an ambush near Benghazi. The car carrying al-Jaber and his colleagues was being followed as they returned to Benghazi from covering a demonstration — suggesting a deliberate attack. Gaddafi has blamed the station, which has won plaudits for its fearless reporting of the Middle Eastern and North African uprisings, for the bloodshed in Libya.
The Al Jazeera director general Wadah Khanfar paid tribute to the journalist. »We are determined to carry on regardless. We cannot sacrifice our lives except for noble causes. There is no nobler cause than the pursuit of truth.«
Since the beginning of the Arabic Revolution, the station has proved increasingly important. No other station is able to supply such comprehensive and well-researched reports from Tunis, Cairo and Benghazi. The website aljazeera.net is one of the 50 most-visited websites worldwide.
Statement
Under duress because of the potential for authoritarian reprisal — imprisonment, torture, execution — people in Tripoli recently refused to speak openly to international reporters about their true feelings. But this happens in many times and many places. People, in fear for their lives and well-being, withhold their voices. They self-censor, they caution one another, they only speak in whispers. Restriction of the voice is the ultimate political control mechanism. Discipline is a game; it displays the illocutionary force of mutual self-censorship.
In contrast to the military routines of strict discipline and keeping a musical beat, the anarchic »pop-up« performances of Escalier du Chant provide opportunities to dismantle or corrupt interpersonal discipline and the political influences of music, and to mock social structures that rely on domination and submission. I have chosen to use short repetitive formulas to engage a passing public with formally deconstructed but readily grasped musical ideas.
Quellen / sources: guardian.co.uk nzz.ch bbc.co.uk cpj.org (Letzter Zugriff / last access: 18.3.2011)